Krieg dem Kriege!

Krieg dem Kriege! Guerre à la Guerre! War against War! Oorlog aan den Oorlog! ist ein erstmals 1924 erschienenes Buch von Ernst Friedrich.

Sturm auf das Winterpalais in St. Petersburg (Petrograd) am 7. November 1917.
Friedrich zeigt den Krieg als Massaker am einfachen Soldaten. (picture-alliance / dpa / UPI)

Es ist von bitterem Sarkasmus geprägt und thematisiert den Ersten Weltkrieg. Krieg erscheint als Massaker an einfachen Soldaten und Zivilisten, eine unbeschreibliche Geschichte von Zerstörung, Blut und Hoffnungslosigkeit. Jetzt hat das Anti-Kriegs-Museum eine Neuauflage herausgebracht

Es beleuchtet die Folgen des Ersten Weltkriegs und wollte das wahre Antlitz des Krieges (Verwundete, Verstümmelte, Hinrichtungen, Leiden, Elend und Sterben) zeigen. Das originär viersprachig (deutsch, französisch, englisch und niederländisch) erschienene Buch wurde in etwa 50 weitere Sprachen übersetzt.

Das „Ebenbild Gottes“ mit Gasmaske

Der deutsche Pazifist Friedrich versuchte mit diesem Buch, die Menschen wach zu rütteln, indem er den Schrecken eines Weltkriegs aufzeigte. Wenige Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs wurde es zur „Bibel der Pazifisten“, die angesichts des Grauens der Schützengräben sich unter dem Motto „Nie wieder Krieg“ zu organisieren suchten. Dabei überlässt er nach einer kurzen Einführung den Leser sich selbst.

Nach der Auffassung, dass ein Bild mehr als tausend Worte zeige, sind in dem Buch unter anderem Kriegsszenen aus dem Ersten Weltkrieg dargestellt. So fordert Friedrich unter einem Bild, das unterschiedliches Kriegsspielzeug zeigt: Gebt den Kindern nicht solche Spielsachen!

Er prangert die euphemistische Sprache der Kriegspropaganda an, indem er Fotografien von der Front mit Untertiteln kontrastiert. So untertitelt er mit Feld der Ehre ein Bild, auf dem die nackte Leiche eines an Typhus verendeten Soldaten in einem Erdloch verscharrt wird. Einen zusammengetragenen Leichenberg für eine Massenbestattung untertitelt er mit Heldengrab.

Bekannt machte dieses Buch auch die Abbildung von furchtbar verstümmelten Soldaten. So sieht man einen Offizier auf einem Lazarettbett, dem Mund und Unterkiefer weggerissen wurde. Eine einzige Fleischwunde ist an deren Stelle getreten. Friedrich untertitelt mit einem Ausspruch des Generalfeldmarschalls Paul von HindenburgDer Krieg bekommt mir, wie eine Badekur! Eine andere Abbildung eines Kriegsversehrten erhielt den Kommentar von Graf MoltkeDie edelsten Tugenden der Menschen entfalten sich im Krieg!Das Buch war umso aufsehenerregender, als die entstelltesten Kriegsopfer in abgelegenen Heimen für Kriegsversehrte vor der Öffentlichkeit weitestgehend „versteckt“ wurden.[1]

Otto Dorbritz, 27 Jahre alt, verwundet Oktober 1918. Durch Minenwurf Oberlippe und Nase weggerissen. Fleisch aus Stirn, Armen und Rippen zu künstlicher Nase und Lippe entnommen (12 Operationen)

Das Buch ist viersprachig aufgebaut, in deutscher, englischer, französischer und niederländischer Sprache. Unter jedes Bild hat Friedrich einen Kommentar gestellt. Am Ende appelliert er nochmals gegen Krieg und verweist auf sein Anti-Kriegsmuseum.[2]

„Der Generalstreik sei die erste Waffe!
Die Männer werden den Dienst verweigern!
Das wahre Heldentum liegt nicht im Morden,
sondern in der Weigerung, den Mord zu tun!
Füllt lieber alle Gefängnisse und Zuchthäuser,
und alle Irrenanstalten aller Länder,
als für das Kapital zu morden und zu sterben!

Vom Staat bezahlte Berufsmöder

Das ist der Ton. Soldaten gelten als vom Staat bezahlte Berufsmörder, nachgewiesen in zahlreichen Fotos von mörderischen Übergriffen auf Zivilisten. Die Kriegsdienstverweigerung dagegen gilt als erste Pflicht des Proleten, den Ernst Friedrich als Kanonenfutter für die Interessen des internationalen Kapitals begreift. Und sollte sich der Mann als zu schwach für die Kriegsverhinderung erweisen, so ergeht ein letzter Aufruf zur Sabotage durch die Frau: „Mütter aller Länder vereinigt Euch!“

Durchdachter Bilddiskurs

Verfasst ist der Text jeweils in Deutsch, Französisch, Englisch und Holländisch, der Hauptteil aber sind die Bilder. Über 200 Seiten Plakatabdrucke, Dokumente und vor allem Schwarz/Weiß-Fotografien mit ebenfalls viersprachigen Kommentaren von Ernst Friedrich. Der Bilderdiskurs ist inhaltlich und formal wohl durchdacht. Er beginnt mit Abbildungen von Kriegsspielzeug, dann kommen Opferfotografien von den Fronten des Ersten Weltkrieges.
So grauenerregend die Abbildungen von den Toten und Verwesenden auch sind, Logik und Gewalt des Krieges erscheinen in einer klaren Dialektik der Gegenüberstellung. So sieht man auf einer Doppelseite links ein Foto mit lachenden Soldaten, der Text dazu lautet:

„Aus den Augusttagen 1914.
Begeistert … wofür? …“

Rechts ein Foto mit einem Leichenhaufen, der Text dazu:

„… für das „Feld der Ehre“.

Der gesamte Text ist geprägt von einem bitteren Sarkasmus. Ganz klar und unverstellt kommt Friedrichs politische Haltung zum Ausdruck. Ein weiteres Beispiel: Links ein Foto vom Kronprinzen der Hohenzollern, der Text dazu:

„In der Etappe: Der deutsche Kronprinz (mit seinen Windhunden), der den Satz prägte: „Immer feste druff“:“

Kritik an herrschender Klasse

Rechts in Halbtotale die Aufnahme von drei toten, in Verwesung übergehenden Soldaten im Dreck des Schlachtfeldes, Text: „An der Front: Der Kronprinz ist nicht dabei.“

Der Krieg erscheint als Massaker an einfachen Soldaten und Zivilisten, eine unbeschreibliche Geschichte von Zerstörung, Blut und Hoffnungslosigkeit, das Massengrab ist sein Leitmotiv und das Schlachtfeld seine menschenvernichtende Wahrheit. Ernst Friedrich schreibt zur Einleitung:

„Doch aller Wortschatz, aller Menschen, aller Länder, reicht in aller Gegenwart und Zukunft lange nicht, um dieses Menschenschlachten richtig auszumalen. Hier aber ist das nüchtern-wahre, das gemein-naturgetreue Bild des Krieges – teils durch Zufall, teils durch Absicht – fotografisch festgehalten.“

Und so steigert sich das Grauen in diesem Buch bis zu jenen Nahaufnahmen von völlig entstellten Gesichtern überlebender Soldaten, die von Sprenggranatensplittern zerfetzt worden waren. Sie stammen vermutlich meist aus Archivbeständen der Mediziner und sollen hier nicht näher beschrieben werden. Denn die Bildwirkung, auf die es aus pazifistisch-erzieherischer Sicht ankommt, besteht in der direkten Konfrontation. Ältere Zuhörer erinnern sich vielleicht an den Schock, den sie auslösen – das Buch war noch in der Friedensbewegung der 80er Jahre eine schlagende Waffe des Pazifismus. Zu Friedrichs Zeit lebten Zehntausende der für immer verstümmelten Opfer abgesondert von der Welt, ihr Anblick war schlicht unerträglich. Es war ein schmutziges Geheimnis einer Gesellschaft, die bereits auf dem Weg zu neuem Unheil war.

Und was sagt uns das Buch heute? Tommy Spree, pensionierter Geschichtslehrer, ist Enkel von Ernst Friedrich. Er hat das von seinem Großvater einst gegründete Anti-Kriegs-Museum in Berlin 1982 mit neugegründet. Spree zeigt sich zum einen angetan davon, dass die Erinnerung an einen internationalistischen Pazifisten durch die Neuauflage im Christoph Links Verlag lebendig bleibt. Das weltweit bekannte Buch ist natürlich in zahlreichen Sprachen und Auflagen im Berliner Museum zu besichtigen. Spree berichtet auch von einem direkten Bezug zur deutschen militärischen Gegenwart:

Friedrichs Worte wirken auch heute

„Ja, ich hatte neulich eine Gruppe da mit einem Bundeswehrsoldaten, der selber traumatisiert war und deutlich gesagt hat, dass er das seit vielen Jahren mit sich herumträgt und damit nicht klar kommt. Er musste auch um eine Anerkennung von Gesundheitsämtern kämpfen, dass er als arbeitsunfähig eingestuft wird und eine entsprechende Rente bekommt, und er wirkte doch sehr depressiv.“

„Krieg ist Krankheit, keine Lösung“, so wird der Theologe Eugen Drewermann in einer Schrift des Anti-Kriegs-Museums zitiert, eine äußerst üble Krankheit muss hinzugefügt werden. Sie zeigt sich nackt in diesen kaum zu ertragenden zerschlagenen Gesichtern aus dem Ersten Weltkrieg, jedem neuen Krieger als Entscheidungshilfe dringend zu empfehlen. Das Anti-Kriegs-Museum in einer ehemaligen Ladenwohnung m Berliner Arbeiterbezirk Wedding hat übrigens täglich ab 16 Uhr bei freiem Eintritt geöffnet

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